Röhrenjeans:Bengel am Stängel

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Der modeversierte Mann von heute stellt sich in hautnahen Jeans zur Schau. Keine gute Idee.

Verena Stehle

Während die Mode derzeit die hübschesten Blüten treibt, ganze Millefleurs-Wiesen voller Pfingstrosen, Stiefmütterchen, Anemonen und platztellergroßer weißer Orchideen - wie ausgestreut von Georgia O'Keeffe, Jackson Pollock und Claude Monet auf Röcken und Kleidern von Balenciaga über Prada bis Zara - stört zwischendurch immer wieder etwas das frühlingshafte Bild.

Mick Jagger trägt Röhrenjeans - und bekommt dafür auch noch tosenden Applaus. (Foto: Foto: Reuters)

Dürre, knollig-krumme und lange schwarze, graue Stängel haben den Winter überdauert, und nun sprießt das wüste Unkraut allerorten. An Straßenecken, vor Szeneclubs in Hamburg und München, an Bushaltestellen, stets in Paaren, manchmal auch in Pulks. Und es vermehrt sich immer weiter. Ein unschöner Anblick, wo man hinsieht: Beine, schlackernd oder wurstig in dunklen Röhrenjeans.

Das System der Mode hat gewöhnlich einen selbstreinigenden Effekt, so, als würde einmal pro Saison ein Kärcher-Hochdruckreiniger Trends einfach zerfetzen. Ob Buffalo-Turnschuhe oder bauchfreie Tops, viele verzichtbare Modeerscheinungen sind mittelfristig, aber dann wie fast über Nacht auf den Straßen dieser Metropolen in keiner Ritze mehr zu finden, von gewissen verschlafenen Randbezirken mal abgesehen.

Anders bei der Röhrenjeans. Die Plage startete ungefähr zeitgleich 2006 in Londons Promi-Stadtteil Primrose Hill an den Beinen des stilprägendsten Models der Welt und in der Pariser Metro, und zog sich dann auch hier schleichend von Norden nach Süden übers Land.

In diesen Tagen wird man den Eindruck nicht los, die Röhrenjeans sei an den Beinen modischer Bengel festgewachsen. Während Frauen die Überwindung der Size-Zero-Ära in hippieesken, überweiten Jeans feiern, tragen Männer zwischen 16 und gefühlten 36 Jahren die von ihren Freundinnen abgelegten Skinny- oder Super Skinny-Jeans, die deshalb auch Girlfriend-Jeans genannt werden. Dabei verschandeln Männerbeine in engen Jeans nicht nur das Stadtbild, sondern lassen auch den Träger nicht besonders gut dastehen.

Außer er steht gerade auf einer Bühne - wie etwa vorletztes Wochenende auf dem Coachella Valley Music and Arts Festival im kalifornischen Indio. Im Biotop von Rock und Pop nämlich geht die Röhre als Berufsbekleidung durch; man erinnere sich an die Punkgroßpapas Iggy Pop, Sex Pistols und Ramones in den siebziger Jahren oder später auch Hardrock-Bands wie Anthrax und Mötley Crüe: Die härtesten Kerle mit den meisten Groupies zwängten sich damals in knallenge Hosen.

Dass diese auch in der Skateboard-Szene beliebt waren, lange bevor die überweiten Baggy-Jeans populär wurden, zeigt Stacy Peraltas "Dogtown and Z-Boys" - ein Dokumentarfilm über eine Surfer-Clique aus Dogtown in L.A., die in den 70er Jahren das Skateboarden, oder das was man heute darunter versteht, maßgeblich beeinflusst hat. Die Röhrenjeans wurde damals aber wohl weniger aus ästhetischen denn aus aerodynamischen Gründen getragen.

Lesen Sie weiter: Die Hose passt wie angegegossen...

Der Stylist Karl Plewka, der schon für Vogue und Interview-Magazine arbeitete, sagte der britischen Daily Mail: "Männer, die sehr enge feminine Röhrenjeans kaufen, wollen sexy aussehen, originell, und nach Rock'n'Roll." In den Fußgängerzonen wirkt dieser Versuch aber meist sehr bemüht; überall billige Rockstar-Doubles, wie beim Straßenkarneval.

Dabei ist es doch so: Kein ausgewachsenes männliches Wesen sieht in einer engen Jeans gut aus - auch wenn Moderedakteure das glauben machen müssen, von Berufs wegen. Dass ein Mann in einer Röhrenjeans eine gute Figur macht, ist vielmehr ebenso wahrscheinlich wie die Aussicht, dass Pete Doherty ab sofort nur noch Birkenwasser zu sich nimmt.

Sehnige oder spannenlange Hansel, mit Oberschenkeln so fohlenhaft dürr wie ihre Waden, erinnern in den Hosen an die "leergequatschten" Testimonials des aktuellen T-Mobile-Werbespots, sodass man schon zweimal hinsehen muss, um sich zu vergewissern, dass dort ein richtiger Mensch mit funktionierenden Organen drin steckt.

Dieser ausgemergelte Heroin-Chic ist nicht nur von vorgestern und völlig überstrapaziert, sondern immer noch mitleiderregend wie Mitte der 90er Jahre, als US-Modedesigner Calvin Klein ihn in seinen Werbekampagnen zelebrierte. Schriftsteller Max Goldt mutmaßte einst vielleicht nicht ganz zu Unrecht, dass Junkies nur deshalb Drogen konsumierten, weil sie die engen schmerzenden Hosen sonst nicht ertragen könnten.

Eines ist sicher: Die Röhrenjeans ist das hellste Irrlicht im Sumpf der Moden, denn sie täuscht die Augen und das Körperschema, wie Psychologen die Wahrnehmung des eigenen Leibes bezeichnen. Schon der Gattungsbegriff ist ein frecher Euphemismus. In Trendshops wie dem Apartment in Berlin oder Serie A in München mag die Acne- oder Cheap-Monday-Jeansröhre, wie sie da auf dem Präsentiertisch liegt, geometrisch gerade und optisch verschlankend wirken; an einem kräftigen Männerbein aber verwandelt sie sich in einen luftdichten und atmungspassiven PVC-Schlauch.

Gekauft wird sie trotzdem, oder gerade deshalb; schließlich passt die Hose, wie heißt es so schön, wie angegossen. Schwere Knochen, Fußballerwaden, O-Beine, jeder Makel scheint plötzlich wie zurechtgequetscht. Apropos zurechtgequetscht: Wäre das nicht mal ein wissenschaftlicher Ansatz, die Korrelation vom Comeback der Röhre 1999 (geht auf das Konto von Hedi Slimane, befeuert durch Garagenbands wie The Strokes) und der Stagnation der Geburtenrate in Deutschland bis ins Jahr 2007 zu untersuchen?

Gilt es doch seit Mitte der 1980er Jahre als bewiesen, dass enge Hosen (in US-Internetforen nennt man sie Nut Hugger) unfruchtbar machen können: Hoden nämlich vermögen nur dann ausreichend Testosteron und Spermien zu produzieren, wenn ihre Temperatur einige Grad unter der Körperkerntemperatur liegt - sie also nicht zu eng an den Unterleib geschnallt sind.

Das führt zu einer weiteren Eigenschaft des spray-on denim, wie der Guardian die enge Jeans nannte. Sie unterrichtet einen auf offener Straße, ob man will oder nicht, über die Wunder der männlichen Anatomie. Doch der ausgebeulte Schritt erweist sich noch nicht einmal als das größte Krisengebiet, was man bei einem verlegenen Blick nach unten bemerkt.

Die Knie sind ganz arm dran. Um sie herum werfen dunkle Röhren schwulstige Falten, die das Bein, laut New York Times-Autor Eric Wilson, in einen schwarzen Regenwurm verwandeln; manchmal, so konnten wir beobachten, auch in einen äußerst unappetitlichen Monsterwurm.

Weiter geht es mit Männern, die aussehen wie hungrige Raben.

Leider wird der Röhrenjeans-Fan, von einer anderen Seite betrachtet, auch nicht toller. Die weitverbreitete Angewohnheit, Jeans zehn Zentimeter tiefer als normal zu tragen (soll unangepasst-cool wirken und den Weichteilen Freiraum schenken), macht aus jedem noch so hübschen Hinterteil einen platten, rechteckigen, traurigen Mühlstein.

Gegen diese Hose kann man als Mann also nur verlieren. Besonders beim Versuch, sich in ihr wie ein Mann fortzubewegen. Im Kopf noch die große Freiheit geräumiger Bootcut-Schnitte, muss der Stretchjeans-Träger plötzlich mit einem Zustand klaustrophobischer Enge zurechtkommen; große Schritte sind da nicht mehr drin.

Wer Kraft hat, wirft die Beine aus der Hüfte heraus nach vorn, wer nicht, bewegt sich in Zeitlupe und eher schlurfend fort. Besonders zu beachten ist auch das spezielle Schuhwerk, das oft mit der Röhre einhergeht: spitze Schnabelschuhe in Turnschuhoptik von Firmen wie Swear London, die das Bein optisch verlängern sollen.

Alles in allem sehen die dürren Burschen mit ihren schmalen schwarzen Jeans und kleinen schwarzen Lederjacken aber nicht aus wie Rockstars, sondern eher wie hungrige Raben.

Die Röhrenjeans trifft bei Männern durchaus auf geteilte Meinung, wie eine nicht repräsentative Umfrage im eigenen Umfeld ergibt. Während einer die Rückbesinnung auf die Urspünge des Punkrock und des Skateboardens als positiv beurteilt ("Ich würde sie ja tragen, wenn ich noch jünger wäre"), empfinden sie die meisten als peinlich ("viel zu eng") oder als unmännlich ("hat einen metrosexuellen Touch").

Es gibt also vielleicht mehr als nur eine Erklärung, weshalb sich ein gestandener Mann in ein Teil zwängt, das aussieht wie eine zu heiß gewaschene Kinderhose. Mag sein, dass er aussehen will wie The Kills-Rocker Jamie Hince (weil er Kate Moss hat). Vielleicht will er aber auch lieber aussehen wie Kate Moss: Heutzutage scheint ein Quäntchen Weiblichkeit wichtig, um sich als moderner, heterosexueller Mann zu definieren.

Was plötzlich funktioniert, ohne gleich als metrosexuell stigmatisiert zu werden: Jamie Hince wurde kürzlich mit Kates Strickjacke gesichtet, Pete Doherty borgt sich schon mal Eyeliner, Schals und Jeans aktueller Gespielinnen, und in Paris soll es gerade dernier cri sein, als Hetero Damenhandtaschen von Balenciaga oder Hermès zu tragen.

Handtaschen, wenn's sein muss; aber in die Röhre ist doch nun wirklich lang genug geguckt - gerade jetzt, wo neben Kreativen in Williamsburg und Prenzlauer Berg auch Leute an ihr Gefallen finden, die erst gestern noch ihre Moonwashed-Jeans in die weißen Tennissocken stopften.

Doch wie man das vom leidigen Springkraut kennt, kann selbst Unkraut skurrile Blüten treiben. Diesen Sommmer gibt es nun (zwei Jahre, nachdem Hedi Slimane - inzwischen Ex-Dior-Homme-Chefdesigner - sie in Pistazie und Pink für 580 Dollar verkaufte) Röhrenhosen von Marken wie American Apparel in Kornblumenblau, Klatschmohnrot und sogar in Tan, der Nuance sonnengebräunter Haut; alles Farben, die in Kombination mit einem engen Schnitt noch viel weniger schmeichelhaft sind für die männliche Statur.

Solange sich die bunten Stängel aber farblich harmonisch in das florale Stillleben da draußen einfügen, stören sie wenigstens nicht mehr unseren Blick.

© SZ vom 10.05.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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